An(ge)dacht Januar 2021 – Gedanken zur Jahreslosung

Quelle: FUNDUS EKHN

Segen, der von Herzen kommt

Nach den schwierigen Monaten des vorigen Jahres beginnt das neue Jahr mit einer großen Hoffnung: Die Impfstoffe gegen die Covid-19-Viren sind da. Das Leben wird viele seiner gewohnten und wichtigen Abläufe zurückerobern.

Bei aller Klage über das, was schlimm und schwer daran war: Noch nie haben weltweit Forscher*innen und Regierungen so umfassend versucht, die Bevölkerung zu schützen. Es gab in früheren Zeiten Pest, Cholera, die Spanische Grippe. Doch dies ist die erste weltweite Krankheitswelle, die durch die vielen Vorsichtsmaßnahmen weltweit eingedämmt werden konnte.

Ich bin sehr dankbar dafür. Und ich gehe gerne mit dem biblischen Vers aus der Jahreslosung in das neue Jahr:

„Jesus spricht: Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist.“
(Lukas 6,36)

Das Herz ist unser Lebenszentrum. Hier fühle ich, wenn mir etwas ans Herz geht. Bei schönen Dingen wird einem froh und leicht ums Herz, Glücksgefühle strömen von hier aus durch den ganzen Körper. Schlechte Nachrichten aber wecken auch Gefühle: Dann bekomme ich Mitleid und will helfen. Das meint das alte Wort von der Barmherzigkeit.

Vor einem Jahr hätte niemand vorhersehen können, was wenige Wochen später geschehen würde. Gesundheit und menschliche Nähe sind neu in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit geraten: Die Zerbrechlichkeit des Lebens. Dazu kam auch die Einsicht, wie gefährdet Infrastruktur, Wirtschaft und Zusammenleben sind. Viele wurden im Beruf ausgebremst. Nähe in der Familie musste ausgehalten und neu organisiert werden. Sportveranstaltungen sind abgesagt worden. Schule lag brach, Kultur fand im Internet statt.

Noch ist das nicht überstanden, weltweit schon gar nicht. Viele leisten immer noch Unglaubliches: im Gesundheitsbereich, in den Pflegediensten, bei den Forschungsteams und auch in Politik und Verwaltung. Aber es ist bergauf gegangen. Alle die ich kenne hoffen für dieses neue Jahr, dass das Leben sich weiter normalisiert. Und zugleich haben fast alle gemerkt, dass die Welt näher zusammengerückt ist. Ein Land, ein Kontinent allein kann die Pandemie nicht bekämpfen.

Und so ist es aus meiner Sicht auch mit allen großen Herausforderungen der Zukunft. Die Klimaveränderungen, die gerechte Versorgung aller Menschen mit Essen, Gesundheit, Bildung und Wohlstand. Das können nur viele gemeinsam sichern und verbessern.

Jesus sagt: Öffne dein Herz. Lass dich anrühren vom Leid der anderen. Lass dieses Mitgefühl, deine Hände und deinen Verstand tätig werden. Denn so ist Gott: Barmherzig, gnädig und gütig. Daran erinnert die Jahreslosung uns als Gottes gute Geschöpfe.

Pfarrerin Ksenija Auksutat

An(ge)dacht September – „Wir schaffen das“

„Wir schaffen das“

„Wir sitzen alle im selben Boot.“ Das ist ein starker Satz. Jemand sagt etwas, das für alle gilt, also auch für mich. Das Bild macht gleich klar, was mir droht, wenn ich mich nicht mitgemeint fühle: Dann schwimme ich ganz allein im weiten Meer, denn die anderen sitzen ja alle drin im Boot.

„Wir schaffen das.“ Bundeskanzlerin Merkel hat das 2015 gesagt, als sich viele Sorgen gemacht haben, wie die vielen geflüchteten Menschen in Deutschland untergebracht und versorgt werden können. Mit ihrem starken Satz wollte die Kanzlerin damals wohl deutlich machen, dass die Bevölkerung, die bereits hier lebt, keine Angst zu haben braucht. Aber sie hat damit zugleich alle in die Pflicht genommen. Und auch hier wurden die, dies sich nicht mitgemeint fühlten, ausgegrenzt. Sie suchten sich dann neue Verbündete und wurden ein neues, rechtes Wir. Zu dem „wir“ gehört oft das „uns“. Unser Land, unsere Sprache, unsere Kinder.

In der Kirche heißt es oft: „Wir glauben in unserer Gemeinde an Gott.“ Ich begegne solchen Aussagen eher misstrauisch. Bin ich denn Teil von diesem „wir“? Ich trage ja einen nicht sehr häufig vorkommenden Vor- und Nachnamen. Der fremde Klang löst aus, was Fremdes meistens auslöst: Misstrauen, Angst, Distanz. Die ist keine von uns, pass erstmal auf – so die unbewusste Reaktion vieler Menschen. Darum bedeutet es mir sehr viel, dass vor Gott alle Menschen in den Blick kommen. Und zwar als einzelne Persönlichkeiten, mit ihrem Glauben, ihren Sorgen und Hoffnungen.

Dass dieses „wir“ gerade im Glauben jeden Tag neu eine Frage an jeden Einzelnen ist, hat der Theologe Dietrich Bonhoeffer jungen Christ*innen mit auf den Weg gegeben. Er sagte im Frühjahr 1938 in einer Predigt zur Konfirmation: „Aus dem ‚Wir glauben‘ muss nun immer mehr das ‚Ich glaube‘ werden. Der Glaube ist eine Entscheidung. Darum kommen wir nicht herum.“

Ich finde, „unsere“ Gemeinde hier in Stockstadt ist ein guter Ort, um Ausgrenzung und Distanz zu überwinden. Um über den Glauben nachzudenken. Und das Zusammenleben für jede und jeden gut zu gestalten. Für uns. Alle. Wirklich jede und jeden.

Pfarrerin Ksenija Auksutat