Von René Granacher
STOCKSTADT – Geschichtliche Ereignisse scheinen weit weg – außer, wenn sie
die eigenen Vorfahren betreffen. Jörg Hartung hat am Donnerstagabend rund 40
Stockstädtern ihre historischen Wurzeln nahegebracht, als er über die
Geschichte alteingesessener Familien referierte.
Es ging um Namen, die schon immer zu Stockstadt zu gehören scheinen.
Tatsächlich sind jedoch viele dieser alteingesessenen Familien erst im Laufe
des 18. Jahrhunderts in den Ort gekommen, oft aus benachbarten Dörfern. Andere
sind nach dem Dreißigjährigen Krieg zugezogen, als Not und Verwüstung viele
Menschen aus ihren Heimatorten vertrieben.
Die wichtigste Quelle für solche Informationen sind Kirchenbücher,
erläuterte Hartung. Erst seit 1875 gibt es deutschlandweit eine amtliche
Registrierung von Geburten, Heiraten und Taufen – vorher haben die örtlichen
Pfarrer diese Ereignisse notiert. Das Entziffern der alten Unterlagen ist eine
Herausforderung: Schriften und Schreibweisen verändern sich, erklärte Hartung,
und erfordern immer wieder neues Einlesen. „Und mancher Pfarrer hatte einfach
eine Sauklaue.“
Als er sich mit 15 für die eigenen Vorfahren zu interessieren begann,
konnte er selbst nichts in den alten Büchern lesen und bekam viel Hilfe vom
damaligen Pfarrer Karl-Heinz Horlebein. Die Familie Grünig, der Hartungs Mutter
entstammt, entpuppte sich dann als eine der am längsten nachweisbaren im Ort:
Seit dem 30-jährigen Krieg ist sie hier ansässig.
Da die erhaltenen Stockstädter Kirchenbücher – ein Teil verbrannte im
Zweiten Weltkrieg in Darmstadt – nur bis 1643 zurückreichen, ist man für die
Zeit vorher auf andere Unterlagen angewiesen. So auf eine Kriegsschadensliste
von 1622, wo schon der Name Nösinger auftaucht. Nösingers (manchmal Nesinger
geschrieben) waren immer wieder als Rheinfischer anzutreffen, auch der letzte
Fischer des Ortes zu Beginn des 20. Jahrhunderts war ein Nösinger.
Berufe, die über die Generationen weitergegeben werden, finden sich immer
wieder in den Unterlagen: viele Fischer und Bauern, aber auch traditionelle
Handwerke – Bäcker, Metzger, Weber. Wahrscheinlich heirateten diese sogar öfter
in benachbarte Orte, weil man möglichst einen Ehepartner aus dem gleichen
Gewerbe suchte. So war die Familie Felger (aus Gundernhausen zugezogen) als
Hirten tätig. Als Zimmergeselle kam 1715 der erste Kabey nach Stockstadt, und
auch dieser Beruf hielt sich in der Familie.
Die Familie Hefermehl ist seit 1759 als wohlhabende Bauern in Stockstadt zu
finden; in ihrem Herkunftsort Crumstadt schrieb und schreibt sie sich
Hebermehl. Der Name Mölbert kam 1746 aus Erfelden, Lautenschläger 1869 aus
Pfungstadt. Das Bäckerhandwerk pflegte die Familie Nold, 1779 aus Erfelden
gekommen, bis Jakob Friedrich Nold aus einer Schlosserei einen großen
metallverarbeitenden Betrieb aufbaute, der den Ort über Jahrzehnte prägen
sollte.
Eine Familie Nübling oder Niebling findet man in Stockstadt nicht mehr,
dabei war sie schon vor dem Dreißigjährigen Krieg hier ansässig: Ein Dokument
von 1594 nennt einen Stockstädter Fischer dieses Namens. Seit 1750 gibt es
keine Namensträger mehr, doch das Erbe lebt fort, erklärte Hartung: Fast jeder
alteingesessene Stockstädter hat Vorfahren namens Nübling. Wer seine
Familiengeschichte nachverfolgen will, kann dazu das „Stockstädter
Familienbuch“ nutzen, das Jörg Hartung verfasst hat.