Artikel im „Ried-Echo“ vom 14.2.2019 (von Anke Mosch)
Die Renovierung der evangelischen Kirche in Stockstadt im Jahr 1973 sorgt für einen freundlichen Gesamteindruck.
STOCKSTADT – Der oberste
Bauherr der evangelischen Kirche prangt tatsächlich an oberster Stelle: Wer das
im gotischen Stil erbaute Gotteshaus von 1607 betritt und an die im
prachtvollen Renaissancestil gestaltete Stuckdecke schaut, entdeckt das Wappen
des Landgrafen Ludwig V. zu Hessen-Darmstadt und daneben das seiner Gemahlin
Magdalena von Brandenburg. Ein Politikum aus der Entstehungsgeschichte der
Kirche ist dagegen erst seit der großen Renovierung von 1973 wieder an der
Decke zu sehen: das alte Wappen der Grafen von Erbach.
Denn nach einem erbitterten
Streit um die Baukosten zwischen der politischen Gemeinde und den Grafen von Erbach
als Zehntherrn konnten sich schließlich die Stockstädter durchsetzten. So trug
ein Teil der Baulast der Landgraf als oberster Bauherr, ein Teil die politische
Gemeinde (Turm) und das Langschiff das Haus Erbach. Das setzte dafür durch,
dass der Turm der politischen Gemeinde nicht auf das gräfliche Kirchendach,
sondern neben das Langhaus gesetzt wurde.
Als 1714 mit dem Zehntrecht
auch die vollständige Baupflicht für die Kirche von den Grafen von Erbach auf
das Haus Hessen-Darmstadt überging, hatten die Stockstädter nichts Eiligeres zu
tun, als 1720 im Zuge einer „Kirchenreparatur“ das Wappen der Erbacher zu
übertünchen. Im damaligen Kirchenbuch findet sich auch die Begründung: „weilen
nun . . . nicht nöthig geachtet wird, eines fremden Herren sein Wappen zu
haben“. Erst bei der Renovierung 1973 wurden die Reste des alten Wappens
wiederentdeckt und freigelegt.
Kirchenvorstandsvorsitzender
Richard Hefermehl und Heike Hartung aus dem Kirchenvorstand lieben den hellen,
freundlichen Charakter der Kirche. Hefermehl umso mehr, als er das Gotteshaus
als Bub noch ganz anders erlebt hat. „Schwarz herrschte vor, es war richtig
dunkel“, erinnert er sich. So sei etwa der Altar mit schwarzen Behängen
verdeckt gewesen. „Wir Konfirmanden haben gedacht, dass da ein Holzkasten
drunter sein müsste.“ Gar nicht so verkehrt – nur, dass unter dem Holz das
Original versteckt war.
Bei der Renovierung 1973
wurde der alte Steinaltar von vielen Farbschichten und der Holzverkleidung
befreit und einen Meter nach hinten versetzt. Ebenso wurde die gesamte düstere
Holzverkleidung vom Podest im Chorraum und den tragenden Säulen der Empore
beseitigt. Die filigranen Säulen sind nun in Weiß gehalten und tragen zu dem
lichten Gesamteindruck des Kircheninnenraums bei.
Verstärkt wird diese Wirkung
durch die großen Fenster des Altarraums. Das mittlere direkt hinter dem Altar,
wie seine beiden Nachbarn eingebaut für die im Zweiten Weltkrieg zerstörten,
zeigt Reformator Martin Luther und den protestantischen Schwedenkönig Gustav
Adolf, der im Dreißigjährigen Krieg in Erfelden mit seinen Truppen den Rhein
überquert hatte. Wer sich umdreht und Richtung Kirchentür schaut, entdeckt auf
der Empore eine weitere Besonderheit: Die 1838 vom bekannten Mainzer Orgelbauer
Bernhard Dreymann angefertigte Orgel, die nicht nur weitgehend im
Originalzustand erhalten ist, sondern als Rarität über eine „Aeoline 8“, eine
Art Harmonium, verfügt. Sie ist damit die letzte Dreymann-Orgel mit einer
Aeoline.
Einen Schreck erlebte die
Kirchengemeinde 1990: Ein vorsätzlich gelegter Brand in der Sakristei griff in
den Innenraum über, durch die starke Rußentwicklung musste der Innenraum
renoviert werden. „In der Zeit konnten wir unsere Gottesdienste in der
katholischen Kirche abhalten“, erinnert sich Hefermehl.
„SCHWEIßTUCH DER VERONIKA“
Ein Reliefstein an der
nördlichen Außenwand stammt vermutlich noch aus dem Vorgängerbau, der auch als
„Kleine Kirche am Rhein“ bezeichnet wurde. Er zeigt das sogenannte „Schweißtuch
der Veronika“. Nach der christlichen Überlieferung soll die heilige Veronika
ihr Tuch Jesus Christus auf seinem Weg nach Golgota gereicht haben, damit er
sich damit Schweiß und Blut abwischen konnte. Dabei soll sich sein Gesicht auf
dem Schweißtuch schließlich eingeprägt haben. (anmo)